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die obige Bemerkung zeigt, durch die Natur des deutschen Processes ganz besonders gemahnt, denn unser Process weicht um 100 Procent weiter ab vom römischen, als unser Civilrecht vom römischen, und doch drängt auch die civilistische Wissenschaft bereits mit Macht in die neue Bahn constructiver Selbstständigkeit herein. Wer diese Ansicht mit uns theilt, muss unzufrieden sein mit der Hereinziehung des römischen Processstoffes in des Vfs. Buch, und muss dafür halten, dass, indem der Vf. die systematische Richtung betonte, er Recht thue, jedoch in der Ausführung seinem eigenen Princip nicht ganz treu geblieben sei. Die Detailentwickelung ist klar und durchsichtig; die Literatur im Ganzen ziemlich genau berücksichtigt (die Schrift von v. Helmolt über Einreden haben wir nicht aufgeführt gefunden). Doch wäre eine Berücksichtigung der in den zahlreichen Particularrechtszeitschriften (Preussen, Hannover, Bayern, Sachsen, Württemberg bieten vielen Stoff) und mehreren allgemeinen Sammlungen (namentlich dem Seuffertschen Archiv) niedergelegten Aeusserungen der obergerichtlichen Praxis zu wünschen. Es ist jetzt die Möglichkeit geboten, der wirklichen Praxis ziemlich auf Schritt und Tritt nachzugehen; mit vagen Berufungen auf die deutsche Praxis lässt man sich jetzt nicht mehr abspeisen, denn man kennt den Missbrauch, welchen die Theorie mit diesen Berufungen getrieben hat, indem sie mit dem Scheine praktischer Tendenz sich leichten Kaufes umgab. Hätte der Verfasser mehr die Spruchpraxis durchforscht, so würde dies ihn z. B. gewiss verbindert haben (in § 19), es als die in Theorie und Praxis überwiegende Ansicht zu bezeichnen, dass ein durch Suspensivbedingung beschränktes Rechtsgeschäft noch gar nicht als abgeschlossen, sondern lediglich als eine vorbereitende Verpflichtung angesehen werde. Der Vf. hat sich hier durch Schneiders breite Ausführungen bestimmen lassen, aber, wie es scheint, die Widerlegung desselben (in ders. Zeitscheift) unbeachtet gelassen. Was in der Theorie gilt, dass Perfection und Abschluss zwei ganz verschiedene Dinge sind, und dass die Bedingung nicht das Geschäft, sondern die Rechtswirkung suspendirt, dasselbe muss sich auch in der Praxis als das natürliche Verhältniss herausstellen; des Vfs. Ansicht führt zu den wunderlichsten Consequenzen in der Anwendung, und wir müssen die gesunde Praxis in Schutz nehmen gegen die Behauptung, dass sie die Schneidersche Ansicht vorziehe. Der gegen einzelne Seiten der vorlieg. Schrift erhobene Tadel, so sehr wir auch dessen Berücksichtigung wünschten, hindert uns übrigens nicht, uns der baldigen Vollendung der Schrift zu freuen und ihr die Verbreitung, die sie in der That verdient, zu wünschen.

[8] Der kirchliche Patronat nach canonischem Rechte und mit besonderer Rücksicht auf Controversen dogmatisch dargestellt von Dr. Bruno Schilling, ausserord. Prof. d. Rechte an der Univ. Leipzig. Leipzig, Dyk'sche Buchh. 1854. VIII u. 128 S. gr. 8. (24 Ngr.)

Die geschichtliche Entwickelung des hier dargestellten Stoffes hat der Vf. planmässig von seiner Arbeit ausgeschlossen. Dieselbe

geht weniger darauf aus, materielle Originaluntersuchungen im Gan-
zen oder Einzelnen zu liefern, als vielmehr die Ergebnisse der Wis-

senschaft in übersichtlicher Ordnung zu geben und dabei namentlich

das theilweise reichliche Material an Controversen zweckmässig ein-

zufügen. Die Anordnung ist folgende. Nach einer kurzen Ein-

leitung über Begriff, Entstehung und Inhalt des Patronatrechts be-

handelt der 1. Abschnitt die Grundsätze von der Erwerbung dessel-

ben, wobei zwischen dem Rechte selbst und der Ausübungsbefugniss

unterschieden wird. Der 2. Abschn. betrachtet die Bestandtheile

des Patronatrechts oder die Rechte (Ausübung des Präsentations-

rechts und Recht aus der Präsentation; Schutz und Schirmgerech-

tigkeit; Ehrenrechte; pecuniäre Vortheile) und Pflichten des Kir-

chenpatrons. Im 3. Abschn. wird von dem Verluste des Patronats

(modi finiendi und amittendi juris patronatus) gehandelt.
Die

Literatur finden wir überall mit Fleiss berücksichtigt, die Behand-

lung ist einfach und klar. Hier und da hat der Vf. sich jedoch

nicht vollkommen von veralteten Vorstellungen loszumachen gewusst;

beispielsweise hebt Ref. hervor, dass in § 8 der unvordenkliche Be-

sitz unter den Gesichtspunct der Verjährung gestellt ist. Hier hätte

er sich über den Standpunct der Autoren, mit deren Ansichten er

sich beschäftigte, erheben sollen; die Unvordenklichkeit lässt sich

unmöglich als eine ,,präsumtio juris et de jure" fassen, Ref. vermag

in ihr nichts als eine einfache Präsumtion zu finden: die Präsumtion

des rechtlichen Erwerbs, während (wirkliche) Verjährung ein selbst-

ständiger Erwerbsgrund ist, der weit eher mit jenem der Unvor-

denklichkeit (vom Vf.) gegebenen Titel begabt werden könnte, wenn

derselbe nicht überhaupt besser ganz aus dem System zu verbannen

[9] Die staatsrechtliche Stellung des Fürstenthums Neuenburg in ihrer

geschichtlichen Entwickelung und gegenwärtigen Bedeutung. Von Hm. J.

F. Schultze, Prof. der Rechte. Jena, Fr. Mauke. 1854. XXXIV u. 298 S.

m. 1 Steintaf. u. 1 Tab. gr. 8. (n. 1 Thlr. 20 Ngr.)

Unstreitig bieten die Verhältnisse Neuenburgs mehrere interes-

sante staatsrechtliche und politische Gesichtspuncte dar und schon
die Thatsache, dass sich, wenigstens der Name eines,,Fürsten-
thums" inmitten der republikanischen Schweizerverfassungen und
überhaupt in unserer nivellirenden Zeit erhalten, hat etwas Eigen-
thümliches, zum Denken und Forschen Aufforderndes. Daher ist
denn auch die Zahl der rein wissenschaftlich gehaltenen Schriften,
der officiellen und halbofficiellen Streitschriften und der Schriften
endlich über einzelne staatsrechtliche Fragen, die von Einfluss
auf Neuenburgs Stellung zu sein schienen, ausserordentlich gross,
so dass diese Schriften, wenn man sie sich bogenweise nebeneinan-
dergelegt denkt, einen hübschen Theil des kleinen Terrains, welches
überhaupt hier in Betracht kommt, bedecken würden. Jedenfalls
muss aber schon diess dankbar anerkannt werden, dass der Hr. Vf.,
der überhaupt für seine Sache begeistert ist, die Arbeit mit
Ernst, wissenschaftlichem Sinn und grosser Energie angegriffen hat,

uns eine vollständige und gehörig gesonderte Literatur giebt. Das vorlieg. Werk behandelt nun alle dabei vorkommenden rechtlichen Fragen und schliesst nur die politischen aus, zu deren Beurtheilung der Vf. mit Recht sich nicht für competent achtet, und bietet daher, bezüglich der rechtlichen Seite die Frage, ,,der öffentlichen Meinung (soll sohl heissen:,, dem Publicum" Ref.) das nỏthige Material zu einer gründlichen Beurtheilung der neuenburgischen Frage dar. Natürlich war diess nur möglich auf geschichtlichem Wege und die Entstehung des eigenthümlichen Rechtsverhältnisses zur Schweiz und zum preussischen Königshause, namentlich aber jener wichtige Act, durch welchen im J. 1707 die Herrschaft des preuss. Hauses über Neuenburg begründet wurde, ist sehr sorgfältig bearbeitet worden.

,,In derselben Zeit," sagt der Hr. Vf.,,, wo die grosse Politik Europas sich mit der spanischen Successionsfrage beschäftigte und die Lösung derselben durch Waffengewalt versuchte, wurde die neuenburgische Successionsfrage ganz in privatrechtlicher Form verhandelt und 15 Prätendenten stritten vor dem höchsten Landesgericht über die Souverainetät dieses Landes, wie Privatpersonen um eine gewöhnliche Erbschaft prozessiren. Ein Richterspruch des höchsten Landesgerichts, der Trois-Etats von Neuenburg, ist der Titel, auf welchem die Erwerbung von Neuenburg von Seiten der preussischen Könige ruht."

Leider, muss man freilich hinzufügen, liegt aber darin eben auch ein Beweis, dass weder politische noch richterliche Entscheidungen dauernde praktische Geltung haben! Denn was ist seitdem aus der spanischen Successionsfrage geworden, und bis auf welches Minimum von Schein ist jetzt das Souverainetätsrecht der preuss. Könige über Neuenburg factisch reducirt?! Den ganzen Schwerpunct des geschichtlichen Theils seiner Untersuchung hat der Vf. in der Beantwortung der Frage gefunden:,, Waren die Troisétats competent, in einziger und höchster Instanz über alle Souverainetätsstreitigkeiten zu entscheiden?" Er hat diese Frage bejaht und geht sodann zu der zweiten Frage über: aus welchen Rechtsgründen erkannten die Trois-états am 3. Nov. 1707 dem König von Preussen die Souverainetät ihres Landes zu? Diese Frage hat nun aber den Hr. Vf. weit zurück ins Mittelalter bis zum J. 1288 geführt, weil er von dem damaligen kaiserlichen Belehnungsacte her die Ansprüche des preuss. Königshauses leitet, und bei dieser Gelegenheit hat der Vf. allerdings Rechtsverhältnisse, namentlich auch. lehnsrechtliche Fragen mit zur Erörterung bringen zu müssen geglaubt, deren eigentlicher Zusammenhang mit der vorliegenden Frage nur dem wissenschaftlichen Leser, nicht dem klar werden wird, der ohne tiefere Rechtskenntniss, Belehrung und Unterhaltung in dem Buche sucht. Das ganze Buch zerfällt in 20 zweckmässig gesonderte Abschnitte, und ein sehr vollständiges ,,Urkundenbuch" macht den Beschluss. Eine specielle Kritik des Buches kann hier nach dem ganzen Zwecke des Repertoriums nicht gegeben werden; wir begnügen uns, die Versicherung zu geben, dass der Hr. Vf. seines Stoffes völlig mächtig mit grosser Liebe zur Sache, mit Gelehrsam

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keit und Scharfsinn geforscht hat. Für den praktischen Leser ist unstreitig das 18. Cap., welches eine Skizze der neuenburgischen Staatsverfassung von 1815-1848 enthält und das 20., welches die gegenwärtige Bedeutung der neuenburgischen Frage vom staatsund völkerrechtlichen Gesichtspuncte" schildert, von besonderem Interesse.,,Der grösste Fehler," sagt der Vf.,,,welchen die preuss. Politik in Bezug anf Neuenburg jemals begangen hat, war die Einverleibung desselben in die schweizerische Eidgenossenschaft im J. 1814. Dadurch ist die ganze Stellung verrückt worden und die Radicalen haben insonderheit im J. 1848 gar wohl diesen Umstand zu benutzen gewusst, Preussen fast die Möglichkeit zu nehmen, auf friedlichem Wege die alte Verfassung herzustellen.,,Was schlichte Männer von Uri bemerkt der Vf. — und einfache Bürger von Valengin schon 1814 als die allein richtige Stellung von Neuenburg anerkannten die Stellung eines verbündeten und zugewandten Ortes der Schweitz, muss heutzutage die leitende Maxime für die Verhandlungen zwischen dem rechtmässigen Souverain und der Eidgenossenschaft bilden." Ob überhaupt Preussen wozu der König ohne Zweifel berechtigt sein würde mit Gewalt seine Souverainetät zur Geltung bringen will, mag dahin gestellt bleiben — jetzt wenigstens (am 6. Nov. 1854) ist dazu schwerlich der rechte Zeitpunct - soviel ist aber gewiss, dass wie hier und da die Presse fabelt - der deutsche Bund hierbei ganz und gar nicht betheiligt ist; denn der König von Preussen würde hier nicht als Bundesfürst, sondern als souverainer Fürst eines Staates bandeln, dessen Territorium nicht zum Bundesgebiet gehört. Wir schliessen hiermit die Anzeige eines Buches, das wir Allen, die sich für dergleichen Untersuchungen interessiren, mit Grund empfehlen können, und wir glauben wirklich behaupten zu können, dass mit diesem Buche die Untersuchung über die Rechtmässigkeit der Souverainetät des Königs von Preussen als geschlossen betrachtet werden kann. Auch die äussere Ausstattung ist anständig.

Medicin und Chirurgie.

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[10] Phantom des Menschengehirns. Geschlossen die Aussenseite, aufgeschlagen die innere Höhlenbildung des Gehirns darstellend. Als Supplement zu jedem anatomischen Atlas. Von Dr. Ludw. Fick, Prof. der Anat. zu Marburg. Marburg, Elwerts akad. Buchh. 1855. 1 color. Steintaf. u. 1 Bl. Text. (12 Ngr.)

Auf starkem Papier, ausgeschnitten, die obere und untere, colorirte Ansicht des Gehirns, durch aufgeklebte Abschnitte, welche zurückgelegt werden können, eine Ansicht in die Höhlen desselben gewährend. Die einzelnen Hirntheile sind vom Herausgeber absichtlich nicht bezeichnet. Ref. glaubt aber, dass kleine Ziffern nicht gestört und die Brauchbarkeit des ,,Phantoms" für Anfänger sicher erhöht haben würden.

[11] Das Wetter und die Krankheiten von Dr. Har. Ackermann, Landschaftsarzt auf der Insel Sylt. Mit 3 Steindrtaf. Kiel, akad. Buchh. 1854. 148 S. gr. 8. (n. 221⁄2 Ngr.)

Im ersten Theile dieses Werkchens versucht der Vf. durch weitere Verfolgung der Dove'sche Sätze den Grund zu einer neuen Bearbeitung der Meteorologie zu legen, und die Witterungserscheinungen aus den nach bestimmten Gesetzen erfolgenden Luftströmungen, deren Stauungen und Durchkreuzungen auf feste Normen und Perioden zurückzuführen. Ref., der den scharfsinnigen und von grosser Beobachtungsgabe zeugenden Untersuchungen mit Interesse gefolgt ist, erkennt sich nicht für befähigt, ein Urtheil über den Werth derselben auszusprechen, das blos dem Physiker vom Fache zustehen dürfte, ja, er würde aus diesem Grunde den Auftrag zur Anzeige des Werkes abgelehnt haben, hätte er nicht geglaubt, im 2. Theile, der die Anwendung jener Theorien auf Krankheitserzeugung u.s. w. enthält, ein Feld für seine Thätigkeit als Arzt geöffnet zu finden. In dieser Beziehung sieht er sich aber getäuscht. Er hatte erwartet, des Vfs. Stellung als einziger Arzt auf der durch den schleswig-holsteinischen Krieg, die Beschreibungen E. Willkomms und die häufigen, gegenwärtig so bequemen Besuche der Nordseeküsten auch im Binnenlande jetzt wohlbekannten Insel Sylt an der Westküste Schleswigs würde dazu gedient haben, aus einer Fülle reiner Beobachtungen, wozu sich Land und Leute vorzüglich passend bewiesen haben würden, klare und vollständige Folgerungen über den durch Witterungswechsel bedingten Einfluss auf Krankheitserzeugung, Fortpflanzung u. s. w. zu ziehen, trifft aber schon auf den ersten Seiten auf eine Darlegung individueller physiologischer Ansichten, die zu viel Hypothetisches enthalten, als dass ihnen ohne Weiteres das Bürgerrecht in der Wissenschaft zu ertheilen wäre. Auf diese vorgetragenen Sätze stützen sich nun Forschungen, aus den meteorologischen Bestimmungen des 1. Abschnitts geschöpft. Der Vf. erklärt selbst S. 91, er habe mit Entwickelung seiner theoretischen Anschauungsweise seinen eigenen Bedürfnissen nach dieser Romantik der Naturwissenschaften genügt, glaube, dass ein solches Verfahren gegenwärtig im Ganzen wenig Beifall finden dürfte, hoffe aber, dass ein günstiger Leser das Körnlein Wahrheit, welches er darinnen vergraben glaubt, herauszufinden wissen werde. Ref. gesteht, dass diese Aufgabe keine leichte ist, und ohne weitläufige Bezugnahme auf die phantasiereichen Praemissen des Vfs. eine nicht leicht zu lösende. Zu einer solchen aber ist das Repertorium kein passender Schauplatz. Abgesehen also von jeder Rücksicht auf den Entwickelungsgang begnügt sich Referent mit Erwähnung der Schlussfolgerungen, wie solche vom Vf. selbst zu Ende der Abhandlung in einzelnen Sätzen zusammengefasst sind. 1. Von allen die Witterung bildenden Factoren ist die Wärme der einzige, der durch. seinen Einfluss auf Respiration und Nerventhätigkeit solche Veränderungen im Organismus zu erzeugen vermag, dass Krankheiten entstehen. 2. Die Wärme der Atmosphäre ist abhängig von der

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