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Literaturgeschichte.

[1531] Geschichte der deutschen Poesie nach ihren antiken Elementen. Von C. Leo Cholevius, Oberlehrer am Gymnasium zu Königsberg. 1. Thl. Von der christlich-römischen Cultur des Mittelalters bis zu Wielands französischer Gräcität. Leipzig, F. A. Brockhaus. 1854. XXVIII u. 632 S. gr. 8. (n. 2 Thlr. 20 Ngr.)

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Der Vf. bespricht in einem weitläufigen Vorworte theils den Zweck, welchen er mit dieser Schrift zu verfolgen gedenkt, theils das ganze Verhältniss zwischen der antiken und der romantischen Poesie. Allein wie er sich den Zweck seiner Schrift eigentlich denkt, kann deshalb nicht recht klar werden, weil er zwar oft von den antiken Elementen redet, nie aber bestimmt, was er darunter verstanden wissen wolle. Man siehet nicht, ob er die ewigen Formen der Kunst meint, die, weil sie in dem Wesen der Dinge liegen, überall in so weit gleich sind, als der Stoff es begehrt und möglich macht, oder ob das Inhaltliche darunter verstanden werden soll. Wenn aber eine Geschichte der deutschen Poesie nach ihrem antiken Elemente gegeben werden sollte, so war wohl zuerst und vor allen anderen Dingen genau zu bestimmen, was unter dem antiken Elemente zu verstehen sei. Das ganze Verhältniss zwischen der antiken und der romantischen Poesie wollte sodann nach seiner eigenen Erklärung der Vf. in der Einleitung näher besprechen; allein es ist diess keineswegs auch nur einigermaassen erschöpfend geschehen. Auch hier vermisst man abermals irgend eine Bestimmung, was denn nun' ,,romantisch" sei. Romantisch scheint der Vf. ohne Weiteres Alles zu nennen, was in nachrömischer Zeit entstanden und geschrieben worden. Nun ist es zwar richtig, dass das Romantische in den Dichtungen liegt, welche in der nachrömischen Zeit entstanden, aber keinesweges ist deshalb Alles aus derselben romantisch. Im weiteren Verfolge des Werkes selbst scheint es, als ob der Vf. Alles dasjenige als das wahrhaft Romantische betrachte, in welchem die Ehre und die Minne eine Rolle spielt. Aber das Wesen der romantischen Kunst wird damit keinesweges erschöpft. Die romantische Kunst ist etwas viel Grösseres, Umfänglicheres und Gewaltigeres. Sie ist

1855. II.

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die auf der christlichen Lebens- und Weltanschauung ruhende Kunst, die eben weiter nichts thut als diese künstlerisch lebendig zu machen. Darum muss sie dem Menschen vor Allem als ein freies geistiges Wesen fassen, darum ist ihr die Innerlichkeit und die Seelenhaftigkeit des Menschen immer das Erste und das Vorzüglichste. Darum muss die romantische Kunst das Weltall, in welchem dieser Mensch steht, als ein Geistes- und Vernunft-Ganzes fassen, einen innigen Zusammenhang zwischen dem Göttlichen und dem Menschlichen gestalten. So ist die romantische Kunst der gerade Gegensatz der plastischen Kunst des Alterthums, welche man die classische nennen kann, so wie man das Classische und das Plastische als gleichbedeutend setzt. Der Ausdruck,,classisch" für die Kunst des Alterthums hat eben nur dann einen Sinn, wenn man denselben als gleichbedeutend mit ,,plastisch" nimmt. Wenn nun der Vf. mit so vielen Anderen meint, der modernen Kunst könne nur dadurch aufgeholfen werden, dass sie zu der Kunst des Alterthums zurückkehre, so begehrt er zuerst etwas, was an sich zuerst vollkommen unmöglich ist, und was zweitens, wenn es möglich wäre, die moderne Kunst geradehin vernichten müsste, denn ihr eigentliches Lebensprincip, die christliche Welt- und Lebens-Anschauung, müsste dann aus ihr herausgenommen und ein ihr Fremdartiges in sie hineinversetzt werden, wodurch sie natürlich aufhören müsste zu sein, was sie ist und sein soll. Wenn der Vf. ferner meint, eine Rückkehr zur plastischen Kunst des Alterthums würde am kräftigsten dem Materialismus unserer Tage begegnen, so irrt er sich wiederum mit vielen Anderen ungemein. Die plastische Kunst des Alterthums könnte nur dann einen Eindruck auf die Gemüther der Menschen gewinnen, wenn die Welt- und Lebens-Anschauung zurückkehrte, auf welcher sie stand. Hierdurch würde aber dem Materialismus gerade der aller grösste Vorschub geleistet werden. Die Kunst kann mit der fortschreitenden Zeit nur den Weg gehen und wird ihn gehen, dass sie sich immer tiefer in die christliche Welt- und Lebens-Anschauung hineinlebt. Diess ist bis jetzt keinesweges schon in dem nöthigen Umfange und mit der wünschenswerthen Kraft geschehen, Indessen ist diess auch ganz natürlich. Im Gegensatze zur plastischen Kunst des Alterthums, welche eine abgeschlossene und abgestorbene ist, die nie wiederkehren kann und für deren Zurückführung nur ohnmächtige Versuche gemacht werden können, ist die romantische Kunst eine vielleicht noch ganz junge, noch in ihren Kinderschuhen stehende, welche eben erst im Begriff steht, aus dem Alterthume sich herauszuarbeiten. So müssen wir allerdings sagen, dass der Vf. ohne eine feste Basis sein Werk begonnen hat. Der Sinn und die Bedeutung der romantischen Kunst scheint ihm nicht aufgegangen zu sein. In anderen Beziehungen soll indessen damit seiner Arbeit ihr Werth keinesweges abgesprochen werden. Im ersten Dritttheil dieses 1. Bds. giebt der Vf. eine dankenswerthe Untersuchung über die Entstehung der deutschen Poesie, so weit sie sich an antike Stoffe anlehnte. Ueber die Alexander- und Troja-Sagen

findet man hier interessante Aufschlüsse. Der Vf. selbst macht jedoch darauf aufmerksam, dass bis in das 16. Jahrh. hinein der Zusammenhang zwischen dem Antiken und dem Modernen nur in materiellen Entlehnungen des Letzteren aus dem Ersteren bestanden. In dem weiteren Fortgange des Werkes verfolgt nun der Vf. mit grosser Aufmerksamkeit die Uebersetzungen, die Entlehnungen, die Nachahmungen des Antiken, was freilich einen ungemein reichen Stoff darbietet. Dass aber nun alles dieses das eigentliche Leben der deutschen Poesie oder in derselben überhaupt auch nur etwas Bedeutendes sei, davon können wir uns unsererseits nicht überzeugen. Je weiter das Werk fortschreitet, um so mehr gestaltet es sich zu einer gewöhnlichen Literatur-Geschichte und als solche dürfte es namentlich in Bezug auf die Epoche von Gryphius und Hofmannswaldau bis Klopstock sogar als eine gute Leistung zu nennen sein.

[1532] Mythe, Sage, Märe und Fabel im Leben und Bewusstsein des deutschen Volkes. Von Ludw. Bechstein. 2. Thl. Leipzig, T. O. Weigel. 1855. 251 S. 8. (1 Thlr.)

Auch u. d. Tit.:

Das deutsche Volk dargestellt in Vergangenheit und Gegenwart zur Begründung der Zukunft. XV. Bd. Mythe u. s. w.

In der bei der Anzeige des 1. Theiles (vgl. Repert. Jahrg. 1855. Bd. I. No. 464) kenntlich gemachten Manier wird der dort abgerissene Faden hier weiter abgesponnen, indem zunächst,, die Sagen des späteren Mittelalters" (S. 1-183) in Dichtungen und Mären, Abenteuern und Schwänken, Volksbüchern aller Art, Schildsagen u. s. w. durchgenommen werden. Daran schliesst sich dann die Verständigung über die spätere Fabel- und Märchendichtung (251), unter Aufzeigung des Unterschieds zwischen Fabel und Märchen für Volk und Kinderwelt. Man könnte das Ganze in seiner wiederholt eintretenden summarischen Katalogisirung, der es doch aber auch wieder nicht an vielem treffenden Speciellen fehlt, eine populäre Literaturgeschichte des beschrittenen Gebietes nennen. Ohne Ueberbürdung mit eigentlich gelehrtem bibliographischem Apparat wird doch eine gute Uebersicht gewährt und an so manches allgemein Bekannte das weniger Bekannte zur Erweiterung des Horizontes des Lesers angeknüpft; die in der Theorie festgestellten Unterschiede in den hier besprochenen Dichtungskreisen werden populär, aber nicht selten auf das Treffendste und mithin Behältlichste exemplifieirt. Dafür zeuge eine kurze, das hier eintretende Talent des Verständlich machens belegende Stelle:

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Märchen und Fabel gehören der Kindheit, sie versinnbilden sie gleichsam, denn zu dem Kinde reden Thiere und Kinder reden zu Thieren und erwarten Antwort von ihnen. Andersen lässt in einem seiner Märchen ein Kind ausrufen: Mutter, was werden die Hunde sagen, wenn sie mein neues Kleid sehen! Parabel und Gleichniss stehen schon eine Stufe aufwärts, sie stellen die Flügelkindzeit der ersten Schuljahre dar, in denen das Kind belehrt wird, wie es an schlimmen Beispielen Gutes lernen soll" u. s. w. (S. 207.)

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