Page images
PDF
EPUB

schichtlichen Theile der Liturgik bereichert. Sie zerfallen in zwei Haupttheile, einen ,,einleitenden" (allgemeinen) und einen ,,speciellen. Ersterer behandelt in 4 Capiteln und 93 Paragraphen: den Begriff der pr. Th., 2) die Ableitung ihres Wesens aus dem der Kirche, 3) die Gliederung der kirchlichen Thätigkeit und somit der pr. Th., 4) die allgemeinen Grundkrankheiten (vier Paare formeller und drei Stufen materieller) des kirchlichen Lebens (139). Der specielle in 4 Abschnitten, §§. 94-215: 1) die Katechetik, 2) Halieutik oder Missionswissenschaft, nebst Anhang über innere Mission, 3) Theorie des Cultus, 4) Theorie der Seelsorge oder Poimenik. Katechet und Missionar haben,,metanoetisch,“" Cultus und Seelsorge ,,metamorphotisch" zu wirken; will sagen: jener bekehren, dieser erbauen. Der Theorie des Cultus ist eingeordnet in 2 Capiteln: die Liturgik (§§. 159-189). Hier bespricht der Vf. mit Recht vor dem Grundcharakter der Predigt, wohin er eine ,,bestimmte Tendenz" (klar vorgesetzten scopus) und das Element der,,Erbauung" (Erbaulichkeit, kirchliche) und,,die Basis der Predigt, die heilige Schrift" rechnet, auf besonders beachtenswerthe Weise, die im Princip an Theremin (die Beredsamkeit eine Tugend) erinnert, den Grundcharakter des Predigers (§. 160):

,,Die christliche Kirche will als die das Heilverständniss besitzende, im lebendigen Heilsbesitz stehende, als die Gemeinde der zum neuen Leben in Christo Erwachten, das, was sie hat, darlegen, damit auch in denen, die der Förderung und der Erweckung noch bedürfen, Leben entzündet, und das vorhandene Leben zur Reife und Gestaltung gebracht werde. Hiezu muss sie sich der Natur der Sache gemäss solcher Glieder als ihrer Werkzeuge bedienen, welche zu den geförderten und in stetem lebendigem Wachsthum begriffenen gehören. Es soll ja nicht eine trockene Theorie gelehrt, sondern es soll Leben entzündet werden; und dadurch wird bekanntlich kein dunkles Zimmer hell, dass man ein Lehrbuch der Physik hineinbringt, in welchem die Sätze von der Natur des Lichts verzeichnet stehen, sondern dadurch, dass man eine brennende leuchtende Kerze hineinbringt; dadurch wird kein Holz entzündet, dass man die Lehrsätze von der Verbrennung ihm vorspricht, sondern dadurch, dass man es mit einer lebendigen Flamme in Berührung bringt. Die erste Forderung also, die ein christlicher Prediger an sich zu stellen hat, ist die, dass er ein lebendiger Christ sei. Die erste Frage, die er an sich zu richten hat, ist die, ob in ihm Christus eine Gestalt gewonnen habe; ob er nicht allein erweckt und bekehrt, sondern in stetem Wachsthum des innern Menschen begriffen sei. Bei wem dies nicht der Fall ist, der ist ein schlechter Prediger und liefert schlechte Predigten, die nichts oder wenig wirken, wenn sie auch noch so orthodox gehalten sind."

Wird bewiesen und weiter ausgeführt S. 281 f.

[5] Niederdeutsche geistliche Lieder und Sprüche aus dem Münsterlande. Nach 5 Handschriften aus dem XV. u. XVI. Jahrhundert. Herausgegeben von Dr. B. Hölscher, Lehrer am Gymnas. zu Münster. Mit Anmerkungen, Wörterbuch und einer Musikbeilage. Berlin, Hertz. 1854. XV u. 168 S. gr. 8. (n. 1 Thlr.)

[ocr errors]

Der schon durch die Schrift Das deutsche Kirchenlied vor der Reformation" (Münster 1848) um die Hymnologie verdiente Herausgeber hat in diesem, dem Bischof von Münster gewidmeten Büchlein mit seinen,,suverliken ledekens" einen neuen und schätz

baren Beitrag zur Geschichte des geistlichen deutschen Liedes geliefert. Auch durch diese Sammlung wird es immer klarer und gewisser, dass unser deutsches Volk immer ein sangreiches gewesen, und der geistliche Gesang in der Muttersprache auch in der katholischen Kirche niemals ausgestorben ist. Die von Hölscher mitgetheilten 70 Gesänge (von denen sich mehrere ganz oder ziemlich entsprechend holländisch in den Horae Belgicae, einige hochdeutsch bei Schlosser u. A. vorfinden) sind der bei weitem grössten Anzahl nach (62) aus einem Buche der im J. 1604 im Augustiner-Kloster Niesing zu Münster verstorbenen Catharina Tirs entnommen, welche die 55 ersten mit eigener Hand geschrieben hat. Die Entstehung der Lieder möchte Hölscher in das 15. oder in den Anfang des 16. Jahrhunderts setzen, ,,weil von der Reformation und den Wiedertäufern gar keine Andeutungen darin vorkommen." Dieser Beweisgrund wäre schon an sich schwach, wie alle argumenta a silentio, verliert aber auch durch den Umstand seine Bedeutung, dass die in protestantischen Liedern jener Zeit so häufige Polemik gegen die andere Kirche (welche Fanatiker noch jetzt festgehalten wissen wollen bis zum Papst- und Türkenmord) in katholischen Liedern überhaupt sehr selten ist. Daneben ist das Lied No. 2 eine Uebersetzung des Gesanges,,Est virgo coeli rore," welcher ohne Streit einem (jesuitischen) Dichter des 16. Jahrhunderts seinen Ursprung verdankt. Wir sind entschieden der Meinung, dass die meisten Lieder in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, und zwar im Wetteifer mit der neuen Kirche entstanden sind, welcher man diese mit so viel Erfolg gebrauchte Liederwaffe entwinden wollte. Dann würde es sich auch sogleich erklären, warum in No. 21 Nu biden wy den hiligen Geist die drei letzten Strophen Luthers Text wiedergeben, und No. 41 ein von den Lutheranern geistlich gemachtes Volkslied in einer den Katholiken nicht anstössigen Form mittheilt. Nach unserer Ansicht würde das Interesse der Ledekens bei solcber Annahme nicht verlieren, sondern gewinnen: auch brauchte man die treffende Bemerkung Hölschers, dass der tief innerliche, mystische Zug und Ton dieser Lieder an Thomas von Kempen und die Brüder des gemeinsamen Lebens erinnere, die mit den Augustinerklöstern im Münsterlande in Beziehungen gestanden, darum nicht fallen zu lassen. Denn einzelne Lieder sind allerdings älteren Ursprungs, davon nicht zu reden, dass jener mystische Zug auch in der katholischen Jesuitenpoesie jener Zeit durchaus nicht vermisst wird. Das beigegebene Wörterbuch kommt solchen, die des Plattdeutschen ganz unkundig sind, erwünscht zu Hülfe. Die Musikbeilage giebt In dulci jubilo und den Gesang: Quem nunc virgo peperit, die in dem Büchlein der Catharina den deutschen Liedern vorangehen.

Jurisprudenz.

[6] Studien zu Gaius von Karl Magnus Pöschmann, K. S. Appellationsrath. Leipzig, (Edelmann.) 1854. 32 S. gr. 8.

Es konnte nicht fehlen, dass die allgemeine Theilnahme, welche das 25jährige Jubiläum des Herrn Präsidenten Dr. K. Fr. Günther als Ordinarius der Juristenfacultät zu Leipzig bei dessen zahlreichen Freunden und Zuhörern und den Collegen fand, auch Veranlassung zu Herausgabe mébrerer Schriften geben werde. Wir nennen hier Fr. Ado. Schilling, animadversionum criticarum spec. X.; Schletter, zur Textkritik der Carolina (vgl. Jahrg. 1854. Bd. IV. No. 4308); Beydenreich, quaestio an vidua intra trigesimum diem pro debito mariti valide intercedat; Kind, latein. Gedicht; die Schrift von Freiesleben hat Ref. nicht gesehen). An diese schliesst sich die obengenannte Schrift Pöschmanns, welche, obgleich klein an Umfang, doch zu den gediegendsten Arbeiten, welche über Gaius in kritischer Hinsicht erschienen sind, gezählt werden muss. Der alten classischen Bildung der Juristen huldigend hat der Vf., obschon vorzugsweise praktischer Jurist, seit einer Reihe von Jahren dem Studiam dieser Fundgrube des ältern römischen Rechts seine Mussestunden zugewendet und dabei gefunden, dass bei aller Aufmerksamkeit, welche die namhaftesten Juristen der Verbesserung des Textes des Gaius gewidmet haben, doch noch so manche Stelle nicht allein der Verbesserung bedürfe, sondern auch in der That verbessert werden könne. So hat denn Hr. ARath Pöschmann mehr als 100 Stellen gewonnen, welche von ihm theils ergänzt, theils verbessert worden sind. Er veröffentlicht hiermit nur eine Probe, mit dem Versprechen, den gesammten Vorrath dem gelehrten Publicum später vorzulegen. Wir können nur wünschen, dass dies recht bald geschehe, denn die hier als Probe mitgetheilten Emendationen einiger Stellen sind so glücklich und ungezwungen, dass sie auf die zahlreichen übrigen Verbesserungsvorschläge des Vfs. sehr begierig machen. Wir wollen nur die erste Stelle als Beispiel anführen aus Gai. 1, 53, deren Schluss in den Ausgaben so lautet: sed et maior quoque asperitas dominorum per eiusdem principis constitutionem coërcetur. Offenbar ist das et (hier für etiam) und quoque eine Tautologie; ferner liegt in dem ganzen Satze der Sinn: „,aber auch eine noch grössere Härte wird bestraft." Dies passt nun nicht, da die in der Stelle eben vorher erwähnte Tödtung des Sclaven offenbar schon die grösste Härte ist und es eine grössere nicht giebt, wenigstens hier eine solche nicht gemeint sein kann. Auf eine ganz einfache Weise hilft der Vf. mit der sehr leichten, dem Style gemässen Emendation quaeque für quoque nach, welche sich auf den ersten Anblick so empfiehlt, dass man sich wundern muss, wie noch Niemand auf diese Emendation gefallen war. Die übrigen von ihm verbesserten Stellen sind Gains 1, 71; 2, 181 und 249; 3, und 221; 4, 140 und 151. Wir haben hier nur auf diese Schrift

121

aufmerksam machen, nicht auf einzelne Stellen tiefer eingehen wollen, in deren Emendation der Vf. meist zugleich eine tüchtige Kenntniss der Rechtsgeschichte durchblicken lässt. Sie ist ein erfreuliches Zeugniss dafür, dass und wie ein ausgezeichneter Praktiker auch ernst wissenschaftliche classische Studien mit wesentlichem Erfolge treiben kann.

[7] System des ordentlichen Civilprocesses von Dr. Geo. Wilh. Wetzell. 1. Abth. Leipzig, Verlag von B. Tauchnitz. 1854. VIII u. 208 S. gr. 8. (27 Ngr.)

[ocr errors]

Der Vf. hat Recht, wenn er behauptet, dass in der neueren Zeit die Berücksichtigung der systematischen Seite hinter der historischen Behandlung des processualischen Rechtsstoffes zurückgetreten sei. Er hat sich daher der verdienstvollen Arbeit unterzogen, ein System des (ordentl.) Processes zu schreiben. Es liegt uns die 1. Abth. dieses Systems vor, welche die Einleitung und das 1. Buch (,,Von den Parteien und den Parteihandlungen") begreift. In der Einleitung wird in 4 Paragraphen von der Aufgabe der Theorie des Civilprocesses, den Quellen der (mit Sorgfalt zusammengestellten) Literatur (durch ihre verschiedenen Entwickelungsphasen) und dem System im Allgemeinen gehandelt. Das 1. Buch enthält folgende Abschnitte: Parteiverhältniss (§. 5), successorische (reassumtio litis) und accessorische (interventio Advocaten) Theilnahme Dritter; processualische Vertretung (§. 9-11), persona standi in judicio; Dispositionsrecht der Parteien in Anwendung auf die Processführung (in diesem Abschnitte (§. 13) werden die Provocationsklagen behandelt), litiscontestatio und die aus derselben entspringenden Handlungen (,,Angriffe und Gegenangriffe, welche Gegenstand des Beweises bilden"), die Klagthatsachen (Klaggrund im weiteren Sinne), Einreden, Repliken n. s. w. (§. 17. 18.), Responsionen (Geständniss und Leugnen), der Beweis im Allgemeinen (§. 19), Beweismittel, aussergerichtliches Geständniss, Zeugenaussagen, Urkunden, Eid (§. 25-28), Bescheinigung (das summatum cognoscere); Sicherung gegen den Missbrauch der processualischen Angriffs- und Vertheidigungsmittel, welche theils Strafen (poenae temere litigantium), theils Präventivmaassregeln (Calumnieneide, Cautionen oder Erhebung der Gerichtsgebühren) sind (§. 30). Das 2. Buch wird von der Gerichtsbarkeit und den gerichtlichen Handlungen; das 3. Buch von der Form des Verfahrens handeln (nach der Ankündigung zu Ende des §. 4.). Unverkennbar ist des Vfs. Streben, den logischen Bau des Processkörpers aus den Grundverhältnissen seines eigenen Wesens herzustellen; es hat den Vf. zu Abweichungen in der Gesammtordnung des Stoffes von der bisherigen Gewohnheit geführt, welche wir als glückliche zu bezeichnen keinen Anstand nehmen. Hiernächst ist es ein hervorragender Charakterzug vorstehender Arbeit, dass überall mit besonderer Sorgfalt an die Bestimmung des römischen Processes angeknüpft, ja eigentlich dessen Entwickelungsgang von der ersten Zeit an mehr

[ocr errors]
[ocr errors]

oder weniger in die Darstellung verflochten wird. Der Vf. hat hier in der historischen Methode mehr nachgegeben, als man nach dem von ihm selbst an die Stirne seines Buches gestellten Princip zu erwarten veranlasst war. Gewiss ist, dass Manches sich für diese Hereinziehung der römischen Processgebilde in die Darstellung des deutschen Civilprocesses anführen lässt; die lichtvolle und prägnante Ausarbeitung der einzelnen Glieder des römischen Processkörpers haben wir alle Ursache zu bewundern und als Muster für die logische Durchdringung unseres Processorganismus anzuerkennen. Allein wir dürfen dabei nicht vergessen, dass unser Process (gleichwie schon mehr oder weniger der Justinianische) auf einem ganz anderen Fundamental princip ruht, als dasjenige, was wir die Seele des römischen (Legisactionen- und) Formularprocesses nennen können. Der ächt römische Process mit seiner in jus vocatio und litiscontestatio, mit seinen Sponsionen und Cautionen, mit seinem dominium litis und seiner actio judicati, kurz das ,,judicium" im technischen Sinne ruht auf privatrechtlicher Anschauung; das judicium ist ein modificirtes compromissum, es hat eine ächt civilistische Structur, die litiscontentatio ist das negotium, die sententia ist der Entscheid einer Suspensivbedingung, durch welche der positive Erfolg der Processconsumtion (dieser Novationsanalogie) fixirt wird, und diese Consumtion bemächtigt sich des privatrechtlichen Stoffes des geltend gemachten Rechts (actio), so dass das ,,judicium" als eine wichtige Rechtsfigur des Civilrechts in Betracht kommt. Wie verschieden hiervon ist der rein publicistische Charakter des deutschen Processes, wie ganz anders hier die Stellung der Parteien sowie unter einander als zu dem Richter; von der Theilung des Verfahrens in jus und judicium wollen wir noch gar nicht sprechen. Nur mit einem gewaltigen Sprunge lässt sich aus der einen Sphäre in die andere hinübergelangen, und der Gewinn ist wahrlich nicht zu gross, der uns aus den mühsamen Versuchen, jene Kluft durch die Trümmer äusserer Uebergangsmomente auszufüllen, erwachsen kano. Fruchtbringend würde eine gegensätzliche Vergleichung beider Grundanschauungen in selbstständiger Darstellung beider Processorganismen sein, aber eine Verarbeitung des röm. Rechtsstoffes in den deutschen Process kann nur zur Verwischung des Charakters beider führen. Man muss nicht eine innere Geschichte da suchen wollen, wo höchstens von einer äusseren Geschichte geredet werden kann. Es handelt sich hier allerdings um eine Fundamentalfrage unserer gegenwärtigen Rechtswissenschaft überhaupt; die Reaction der historischen Schule gegen die Einseitigkeiten der Naturrechtsschule hat uns unzweifelhaft über das gesunde Ziel hinausgerissen; es ist, wie anderwärts, so auch bei den Processualisten zum guten Tone geworden, mit einer gewissen Lüsternheit nach römischen Belegstellen hervorzutreten; der Versuch würde erspriesslicher sein, an eine mehr selbstständige Construction des Processbaues zu gehen und das Röm. Recht nicht als Ausgangspunct, sondern nur als Prüfstein zu behandeln. Auf eigne Füsse uns zu stellen, sind wir, wie

« PreviousContinue »