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durchaus selbstständig verwaltet und freilich auch allein durch freiwillige Beiträge für ihre Bedürfnisse sorgt.,,Da sich der Staat zu keiner bestimmten Religion bekennt, so giebt es natürlich auch keinen Tauf-, Confirmations- und Communionszwang, die Frömmigkeit ist dem freien Willen jedes Individuums anheimgestellt, und die Kirche hat blos sittliche Mittel zur Geltendmachung ihres Einflusses auf die Welt." Und die Nation ist doch christlich, ja das Christenthum übt nirgends eine grössere Macht auf die Gemüther. Dies zeigt sich unter Anderem in der strengen Sonntagsfeier, in den zahllosen Kirchen und religiösen Unterrichtsanstalten, in dem Eifer für Bibel- und Tractatgesellschaften, für äussere und innere Mission, in dem allgemeinen Besuch des Gottesdienstes, in der Sitte der Hausandacht. Selbst der Congress eröffnet jede seiner Sitzungen mit Gebet. Im 2. Abschnitte (68-164) handelt der Vf. über die kirchlich-religiösen Zustände (richtiger: über die einzelnen Kirchenparteien) der Vereinigten Staaten. In religiöser Hinsicht hat Nordamerika einen überwiegend reformirten Charakter, von welchem auch die dortige lutherische Kirche unwillkürlich mit fortgerissen wird, so dass sie zwar einerseits gewinnt, andererseits aber auch verliert. Der Einfluss Calvins zeigt sich in gleicher Stärke nur noch in Schottland. Da erscheint durchgreifende sittliche Reform, individuelles persönliches Christenthum, freies selbstständiges Gemeindeleben, strenge Kirchenzucht, scharfe Trennung zwischen Kirche und Staat, Wiedergebornen und Unwiedergebornen; die reformirte Kirche ist wesentlich praktisch, nach Aussen gerichtet, in die Verhältnisse der Welt eingreifend, organisirend und gemeindebildend, aggressiv und missionirend. Diese Eigenschaften zeigen sich in den nordamerikanischen Kirchenparteien bei allen Differenzen der einzelnen. Es werden im Besonderen vorgeführt und geschildert die Congregationalisten oder Puritaner (seit 1614), deren eigentlicher Vater John Robinson ist; die Presbyterianer, welche hauptsächlich aus Schottland und dem nördlichen Irland stammen, erst seit Ende des vorigen Jahrhunderts organisirt und seit 1837 in zwei Hälften, die sogenannte alte und neue (weniger orthodoxe) Schule, gespalten (letzterer gehört der berühmte Dr. Robinson an); die holländischreformirte Kirche (seit 1607), nahe verwandt mit der presbyterianischen, nur strenger calvinisch; die protestantisch-bischöfliche Kirche (seit 1607), früher zur Diocese des Bischofs von London gehörig, seit Beendigung des Befreiungskrieges und Trennung der Colonien vom Mutterlande mit eigener episcopalen Succession, in starkem Zuwachs begriffen; die Methodisten, welche unter allen Parteien die zahlreichsten sind und nächst den Puritanern den meisten Einfluss auf das religiöse Volksleben üben, mit meist nicht wissenschaftlich gebildeten, doch durch die Gabe populärer Rede sich auszeichnenden Predigern, die bischöflichen Methodisten seit 1847 in zwei Theile gespalten, daneben die protestantischen Methodisten, gewöhnlich Radical Methodists genannt; die (calvinischen) Baptisten (seit 1830), die aus den puritanischen Kämpfen

in England hervorgingen und sich von den Independenten nur durch ihre Theorie von der Taufe unterscheiden, sowie mit den Mennoniten, Tunkern, Wasserbrüdern und ähnlichen schwärmerischen Secten nichts weiter gemeinsam haben; die Quaker (seit 1680), zuerst in Pennsylvanien, nicht sehr zahlreich und längst von ihrem alten Fanatismus zurückgekommen, aber noch immer Gegner des Eides und des Krieges; die römische Kirche macht erst seit zwei Jahrzehnten ihren Einfluss fühlbar, in Folge der massenhaften Auswanderungen aus dem katholischen Irland, umfasst jetzt etwa zwei Millionen, und setzt hochgespannte Erwartungen auf die Zukunft, hält aber nicht Schritt mit der Zunahme der protestantischen Denominationen und ist sehr unpopulär; die Mormonen, diese ,,Heiligen der letzten Tage," eigentlich gar keine christliche Partei (seit 1830), einen Staat auf absolutistisch-theokratischer Grundlage bildend, mit unsittlichen Tendenzen, wie sie denn das abscheuliche sogenannte geistige Weibersystem" haben; von den Amerikanern tödtlich gehasst, suchen sie ihre Anhänger in der alten Welt zu gewinnen und in das neue Zion überzusiedeln. Der Mormonismus ist dem Irvingismus sehr ähnlich, dessen Anhänger wirklich in demselben eine dämonische Caricatur ihres eigenen Bildes sehen; beide erwarten die nabe Wiederkunft Christi, beide betrachten die ganze gegenwärtige Christenheit als ein heilloses Babel, beide halten eine übernatürliche Neuschöpfung durch Wiederherstellung der wunderbaren Kräfte der apostolischen Kirche für nothwendig, beide machen Anspruch auf Zungenreden, Weissagen und dergl. Doch fehlt den Mormonen der feierliche Gottesdienst der Irvingiten, deren sittlich religiöser Ernst, deren aufrichtiges Streben nach Heiligung. Im 3. Abschnitte (S. 165-278) spricht der Vf. von den deutschen Kirchen in den Vereinigten Staaten. Die deutsche Kirche und Theologie daselbst hat eine bedeutende Zukunft und hochwichtige Aufgabe; der grösste Theil der deutschen Christenheit dort gehört dem Protestantismus an, denn nur ein Viertheil der Auswanderer ist römisch-katholisch. Die Geschichte der deutsch-evangelischen Kirche Nordamerikas kann in drei Perioden getheilt werden: die Periode der Gründung, etwa seit 1680, wobei namentlich als Patriarchen des amerikanisch-deutschen Protestantismus zu betrachten sind Zinzendorf, Mühlenberg und Schlatter; die Periode der Erstarrung, seit der Revolution 1773, indem das politische Interesse das Uebergewicht erhielt und die Einwanderung eine Zeitlang aufhörte; die Periode der Erweckung, seit etwa 1820. Grosse Schwierigkeit bildet der Conflict der englischen und deutschen Sprache. Letztere gewinnt immer mehr Terrain, ohne die mindeste Anstrengung andere Idiome zu unterdrücken, sie übt eine unwiderstehliche Attraction aus. Die deutsche Bevölkerung Nordamerika's steht im Allgemeinen hinter der englischen an äusserer und innerer Bildung zurück; doch in der neueren Zeit ist ihr Bildungstrieb durch anglo-amerikanischen Einfluss sehr gewachsen. In fast allen Fällen ist das theologische Seminar für die Heranbildung der Prediger die Mutteranstalt, um

1855. I.

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welche sich dann zunächst eine sogen. Akademie, d. b. eine classische Vorbereitungsschule lagert, und, wenn die nöthigen Mittel gewonnen sind, gestaltet sich diese zu einem förmlichen College für alle Zweige der allgemeinen wissenschaftlichen Bildung. So hat die lutherische Kirche acht Predigerseminare, wovon fünf mit Collegien verbunden sind: das zu Gettysburg mit Pennsylvania - College, zu Columbus (Ohio) mit der sogen. Capitel-University, zu Springfield (Illinois) mit Springfield-College, ausserdem zwei ältere zu Hartwick (Neu-York) und zu Lexington (Südcarolina), endlich zwei neuere zu St. Louis (Missouri) mit dem Concordia-College und zu Fort Wayne (Indiana). Die deutsch-reformite Kirche hat drei Seminarien mit eben so vielen Collegien: das zu Mercersburg (Pennsylvanien) mit dem Marschall-College, zu Tissin (Ohio) mit dem Heidelberg-College, zu Newton (Nordcarolina). Ausführlich werden beide genannten Kirchen, sowie der deutsch-evangelische Kirchenverein des Westens und die übrigen deutschen Kirchenparteien geschildert. Wir aber müssen uns weiterer Auszüge enthalten, glauben indess auch hinlänglich schon dargethan zu haben, dass die vorlieg. Schrift vor andern eine sorgfältige Beachtung verdiene. Möge Gott dem thätigen Verfasser Leben und Gesundheit erhalten, dass er in seiner neuen Heimath durch die Schrift wie auf dem Lehrstuhle noch lange zur Förderung der Wissenschaft und Kirche wirke.

Schöne Künste.

[20] Fingerzeige auf dem Gebiete der kirchlichen Kunst von Aug. Reichensperger. Leipzig, T. O. Weigel. 1854. VI u. 138 S. Lex. 8. nebst Titelkupfer u. 31 Tafeln mit 125 Abbild. (n. 3 Thlr. 20 Ngr.)

Diese Schrift macht, klar und lebendig, nur häufig fast zu anzüglich und sarkastisch wie sie geschrieben ist, den entschiedenen Eindruck des innigsten Eingelebtseins ihres Vfs. in seine Aufgabe, wie er denn auch seine Berechtigung zum Mitsprechen in Sachen, wie sie hier verhandelt werden, bereits durch andere, wiederholt aufgelegte Schriften dargethan hat. Aus der vorlieg. neuesten eine wahre Perlenschnur der treffendsten, probehaltigen Rathschläge zusammenzureihen, die sich auf kirchlich Wichtiges (auf Neuanlagen und Reparaturen von Kirchengebäuden, ihre Ausschmückung aussen und ionen, Erhaltung der in ihnen vorhandenen Denkmäler u. dgl. m.) beziehen, würde gleich beim ersten Anlauf und Einblick gar nicht schwierig sein und der specifisch confessionelle Standpunct des Vfs. als Katholik kann begreiflicher Weise kein Hinderniss sein, von seiner vielseitigen Erfahrung und von seinem das Richtige so oft treffenden Scharfblicke auch auf protestantischem Territorium guten Gebrauch zu machen. Gestehen wir es von hier aus nur offen, dass wir im kirchlichen Wesen von den Katholiken gar Manches lernen können, was sie vor uns voraus haben. Wir dürfen sie, wie die

Sachen jetzt theils stehen, theils zu Stande gebracht werden sollen, um die grössere Ehrfurcht fast beneiden, mit welcher bei ihnen die Gotteshäuser betrachtet und betreten werden und welche unserem Volke so sehr abbanden gekommen ist, vorausgesetzt, dass sie dagewesen wäre und stellen wir uns nicht noch immer dadurch, dass wir in grösseren und kleineren Städten Kirchen in Um- und Anbauen zu Schacherplätzen machen, selbst unter die alten Heiden, die in ihren Heiligthümern schon dem Namen nach (templum, réuevos) dem profanen Gebrauch entnommene Plätze achteten man höre einen Persius (sat. I, 113) mit seinem: Pueri, sacer est locus, extra .m.....e! Wie schön wäre es, wenn unsere Kirchen auch ausser ibrer sonntäglichen, nur wenige Stunden dauernden Gebrauchszeit in den Wochentagen offen ständen und die oft so willkommene Gelegenheit böten, aus dem störenden und ermattenden Treiben des Lebens in des Gotteshauses stillen Räumen einen stärkenden Blick nach Oben und nach Innen sich zu retten, wobei, beiläufig gesagt, die so sehr verschrieene Temperatur der Kirchen gewinnen müsste und vielen Kirchenscheuen der Vorwand, dass sie sich in der Kirche nur Krankheiten holten, entzogen würde. Indess solche und ähnliche Externa haben neben ihrer Berechtigung doch auch ihren Gränzen. Diese aber hat der Vf. der vorlieg. Schrift offenbar verkannt; er erwartet und fordert von der Kunst im Dienste der Kirche zu viel und geräth dadurch auf einen Standpunct, der dem Uubefangenen, selbst unter seinen Confessionsverwandten, als ein unhaltbarer erscheinen muss. Er möchte uns lieber sammt und sonders wieder in das Mittelalter zurückschieben und doch hat dieses seine Bedeutung verloren. Die Zeit, wo die Kirchen neben ihrer eigentlichen Bestimmung auch des Volkes Concertsale und Gemäldegalerien waren, ist vorüber und kehrt nicht wieder; die Phase des klösterlichen Systems, das einmal seine volle Berechtigung hatte, ist vorbei. Wir dürfen der Kunst im Dienste der Kirche doch nur eine untergeordnete Stelle einräumen; neben dem schaffenden Geiste des Wortes entwickelt sie nur einen erhebenden und erfrischenden, aber doch ist ihr Werth nicht gering anzuschlagen; widmet sie sich in rechter Art dem Reiche Gottes und schafft sie ihm Eingang in die Gemüther, so gestaltet sie sich gleichzeitig zu wahrhaft populärer Theologie. Abgesehen aber von jenem Hyper, das der Vf. nicht wird halten. und vertreten können, wird man in seiner Schrift gar Vieles zu loben haben, was in treffendster Weise dahin führt, unserem Volke das Verständniss seiner schönsten Denkmäler zu eröffnen und dadurch sie selbst ihm werth zu machen. Wir dürfen nur die einzelnen Abschnitte, in welchen der Vf. rathend und zurechtweisend, tadelnd und lobend, wie es gerade trifft, sich hören lässt, verzeichaen: Neubauten, Restaurationen, innere Ausschmückung der Kirchen, Kirchengeräthe, kirchliche Musik, Küster, Umgebungen der Kirche, Kirchhof n. s. w. um eine Ahnung davon zu wecken. Ein kurzgefasstes Glossar erklärt am Schlusse die am häufigsten vorkommenden technischen Bezeichnungen der einzelnen Bautheile und auch die

trefflich ausgeführten Abbildungen einer grossen Menge von Gegenstäuden, welche mit dem Kirchenwesen in Verbindung stehen, sind lehrhaftig, in vorkommenden Fällen zur Anwendung geeignet und daher eine kräftige Empfehlung der nützlichen Schrift, die gleichsam als Wegweiser für die fabrica ecclesiae in keiner Kirchenbibliothek fehlen sollte und die Kosten ihrer Anschaffung durch Einsicht, die sie schaffen hilft, durch Fehlgriffe, die sie vermeiden und durch Ersparnisse, die sie machen lehrt, reichlichst wieder ersetzen wird.

[21] Vom Musikalisch-Schönen. Ein Beitrag zur Revision der Aesthetik der Tonkunst. Von Dr. Ed. Hanslick. Leipzig, R. Weigel. 1854. VIII u. 104 S. gr. 8. (15 Ngr.)

Die Frage, könnte man sagen, gehört zu der Natur des Menschen. Er ist immer mit Fragen: Was, wie, warum ist dieses oder jenes? beschäftiget. Das Fragen ist leicht, das Antworten aber oft sehr schwer. Zu den schwierigsten Antworten dürfte aber wohl die auf die Frage gehören: ,,Was ist eigentlich die Musik in Beziehung auf den fühlenden und denkenden Menschen?" Die Beantwortung dieser Frage würde leichter sein als sie ist, wenn Fühlen und Denken anders als in der Reflexion von einander getrennt, wenn sie im lebendigen Dasein nicht auf das Innigste verschmolzen wären. Aber des Streites über die Musik, seit die Frage sich erhoben, was sie eigentlich bedeute und welchen Inhalt sie auszudrücken vermöge, ist schon viel in der Welt gewesen und wird auch in aller Zukunft noch sein, denn man tritt hier in ein flüchtiges, ätherisches Gebiet, das sich dem Begriffe und dem Beweise durchaus entzieht. Es ist bekannt, dass schon Nägeli sich dahin ausgesprochen, die Musik sei nur ein Spiel mit angenehmen Tönen und könne etwas Anderes durchaus nicht sein; auch der Verfasser der ,,Musikalischen Briefe" (Leipzig, 1852) sprach sich, wenn auch nicht mit derselben Be-. stimmtheit, in ähnlicher Weise aus, und es ist vielfach Wider

spruch dagegen erhoben worden. Der Vf. des vorlieg. Schriftchens, welches jedenfalls einen neuen, interessanten Beitrag für die ganze Streitfrage giebt, geht nicht so weit als Nägeli, indem sein Streben ist, schärfer in die Tiefen der Sache einzudringen, schliesst sich deshalb nur gewissermaassen an ihn an, und will seinen eigenen Weg einschlagen. Er hebt mit der Behauptung an, dass die Musik nur auf die Phantasie und nicht auf die Gefühle des Menschen einwirke. Eine besondere Eigenthümlichkeit der Musik ist dies aber durchaus nicht, wie der Vf. meint, denn auch die Poesie kann nur die Phantasie des Hörers oder Lesers anregen wollen, dass sie sich dasselbe Bild entwürfe, welches vor des Dichters Seele schwebte. Ueberhaupt hätte der Vf. sich deutlicher darüber aussprechen sollen, was er unter Gefühl verstehe und in welchem Verhältniss er sich Gefühl und Phantasie denke. Die Musik, fährt er fort, könne wohl einen Kreis von Ideen darstellen, aber nur solche, welche sich auf das Hörbare bezögen. Sie könne das Anschwellende, Absterben de,

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